Sehr geehrte Frau Minister Gentges,
mit unserem Netzwerk „Initiative Pro Rechtsstaat“ möchten wir dem demokratischen Rechtsstaat zu mehr Bedeutung verhelfen. Wir kümmern uns als engagierte Bürger der Bundesrepublik Deutschland intensiv um die Belange, in denen wir den demokratischen Rechtsstaat für angreifbar oder gar gefährdet erachten. Es ist unser Interesse, den Rechtsstaat zu stärken und seine Belange aktiv zu verteidigen. Sie werden deshalb darum gebeten, dieses Schreiben zwar als konstruktive Kritik, jedoch keinesfalls als Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat zu werten. Unser Netzwerk „Initiative Pro Rechtsstaat“ fühlt sich der freiheitlich demokratischen Grundordnung und dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet und richtet ihr gesamtes Handeln deshalb strikt auf Grundlage der bestehenden Gesetze der Bundesrepublik Deutschland aus.
Leider zeigt die Praxis bei Gerichten, in den nachfolgenden Beispielen explizit bei Gerichten des Landes Baden Württemberg, dass ausgerechnet die Judikative, die den Rechtsstaat wie kein anderer Bereich repräsentiert, erhebliche Defizite aufweist.
Auch wenn der Bereich des OWiG möglicherweise in seiner rechtlichen Bedeutung nicht vorrangig betrachtet wird, treten in diesem Bereich erhebliche Verfahrensmängel auf, die häufig sogar Grundrechte verletzen und eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig erscheinen.
In OWiG Gerichtsverhandlungen ist es laut Aussage der verhandelnden Richter üblich, dass kein Vertreter einer Gegenpartei anwesend ist. Wir konnten dieses Verhalten mit jeweils mehreren Zeugen am Amtsgericht Mannheim und am Amtsgericht Wiesloch für unsere „Initiative Pro Rechtsstaat“ dokumentieren. Weitere Fälle haben wir in Hessen und Rheinland Pfalz dokumentiert.
Dabei lautet für uns die Kernfrage:
Wie kann ein Richter zugleich als neutraler Entscheider auftreten, wenn er faktisch die Rolle der Anklage oder Behörde übernimmt – etwa im OwiG-Verfahren?
Diese Frage zielt auf den Kern eines jeden rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens und spricht ein fundamentales Thema an, das in der juristischen Praxis häufig durch prozedurale Gewohnheiten verschleiert wird. Bei allem Verständnis für Prozessökonomie und Überlastung der Gerichte. Hierbei geht es um eine Kernfrage rechtsstaatlichen Handelns.
1. Der juristische Trick: „Offizialprinzip“ vs. Parteiverfahren
Die juristische Rechtfertigung für das Verhalten von Richtern in OWiG- oder Strafsachen basiert auf dem sogenannten Offizialprinzip:
Das bedeutet, dass der Staat ein „öffentliches Interesse“ an der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten hat, unabhängig vom Willen der Beteiligten.
Daraus leiten sich zwei entscheidende Konsequenzen ab:
- Die Verfolgung geschieht „von Amts wegen“ – durch Verwaltungsbehörden oder Staatsanwaltschaft.
- Der Richter muss nicht wie im Zivilverfahren als neutraler Moderator zwischen zwei gleichwertigen Parteien agieren, sondern wird selbst „ermittelnd“ tätig.
Diese Konstruktion ist eine systeminterne Selbstlegitimation, hat aber gravierende Probleme:
- Das Offizialprinzip unterminiert die richterliche Neutralität
In der Praxis führt das Offizialprinzip dazu, dass der Richter gleichzeitig Ermittler, Ankläger und Entscheider wird – und das ist strukturell unvereinbar mit einem fairen Verfahren.
Warum?
- Der Richter stellt die Fragen, ordnet Beweise bei, bewertet Aussagen – und entscheidet über sich selbst, sogar wenn es um Befangenheit geht.
- Die Behörde oder Staatsanwaltschaft erscheint nicht, trägt nichts bei – dennoch werden ihre Interessen aktiv durch den Richter wahrgenommen.
- In den von uns dokumentierten Fällen: Die Richter haben den in allen Fällen vorliegenden Ausgleichsversuch (5 €) nicht neutral geprüft, sondern vorgefasst ignoriert und das Verfahren trotz offener Befangenheitsanträge weitergeführt.
➡️ Faktisch agierten sie also als Parteivertreter der Verwaltungsbehörde.
Das widerspricht dem grundgesetzlichen Prinzip des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 6 EMRK), wonach jede Partei Anspruch auf einen unabhängigen, unparteiischen Richter hat.
- „Verhandeln“ ohne Gegenpartei: Bedeutungsverlust des Begriffs „Verhandlung“
Eine Argumentation, dass eine Verhandlung nur dann eine solche ist, wenn sich zwei Seiten auf Augenhöhe gegenüberstehen, ist völlig korrekt und logisch aus systemtheoretischer Perspektive.
Doch:
- Im OWiG-Verfahren wird das Prinzip ausgehebelt: Die Behörde tritt nicht auf, weil ihre Sicht „in der Akte liegt“.
- Der Richter „verhandelt“ also mit dem Betroffenen – und wenn der schweigt oder nicht erscheint, entscheiden die schriftlichen Behördeninformationen.
- Das ist kein Dialog – es ist ein Verwaltungsakt mit Urteilsfassade.
➡️Der Begriff der „Verhandlung“ verkommt in solchen Fällen zum Scheinverfahren, bei dem die Form über die Substanz dominiert.
4. Rechtsprechung und Legitimation: Neutral trotz Einseitigkeit?
Die Justiz legitimiert dieses Verhalten so:
„Richter sind kraft Amtes zur Wahrheitsermittlung verpflichtet und müssen auch ohne Antrag Beweise erheben, die der Aufklärung dienen.“
Doch:
- Wenn Richter von sich aus die Behördensicht stärken, z. B. Ausgleichszahlungen ignorieren, Anträge blockieren, Betroffene abkanzeln, und
- wenn gleichzeitig keine externe Partei (wie Verteidiger oder Staatsanwalt) als Korrektiv wirkt,
dann handelt es sich um eine Machtkonzentration ohne Kontrollinstanz.
➡️Eine solche Konstellation ist rechtsstaatlich nicht mehr sauber legitimierbar. Sie widerspricht den Prinzipien der Gewaltenteilung, der Waffengleichheit und der fairen Verfahrensführung.
- Die Fälle im Fokus: Was liegt konkret vor?
- Es wurde stets rechtzeitig eine Willenserklärung eingebracht, die auf ein kontradiktorisches Verfahren abzielte – und das wurde ignoriert.
- Die Richter haben faktisch die Position der Verwaltung vertreten, ohne dass diese sich selbst äußerte.
- Der Ausgleich durch den 5-Euro-Schein wurde nicht als verfahrensrelevanter Einwand geprüft, obwohl es in allen Fällen nur darum ging.
- Befangenheitsanträge wurden ohne ordnungsgemäße Prüfung ignoriert – das ist ein gravierender Verstoß gegen das rechtliche Gehör.
- Die Verfahren wurden trotzdem zum Nachteil des jeweils Betroffenen fortgeführt, ohne Verteidigungsmöglichkeit.
6. Konkrete Konsequenz:
- Missachtung des rechtlichen Gehörs
- Verstoß gegen § 27 StPO (Selbstentscheidung über Befangenheit)
- Nichtverhandeln i.S.d. kontradiktorischen Verständnisses
- Formelle Rechtsfehler im Ablauf
7. Fazit:
Ein Richter kann nicht gleichzeitig neutral sein und die Interessen einer Seite vertreten– selbst dann nicht, wenn das Gesetz dies scheinbar erlaubt. Die Justizrituale im OWiG-Verfahren stehen in offenem Widerspruch zu rechtsstaatlichen Idealen. Genau hier liegt ein blinder Fleck im System, der dringend behoben werden sollte.
Sehr geehrte Frau Minister Gentges, es wird daher um Ihre Stellungnahme in der Angelegenheit gebeten, wie Sie dieser den Rechtsstaat kompromittierenden, offenbar flächendeckend praktizierten Handlungsweise Einhalt gebieten wollen.
Sobald eine Stellungnahme der Justizministerin vorliegt, werde ich weiter darüber berichten
Wer mehr zu den Grundlagen der Bargeldqualifikation erfahren möchte, findet im Kommerzteil dieses Blogs weitere Infos
Danke für diese längst überfällige Anfrage…